Die Schönheit der Reduktion.

 

 

Seit Kasimir Malewitsch um 1913 sein “Schwarzes Quadrat auf weißem Grund” malte, begann eine der wichtigsten künstlerischen Grundströmungen des 20. Jahrhunderts, die seitdem ohne Unterbrechung bis heute lebendig weiterentwickelt wurde. Das ist eine recht einmalige Erscheinung, da andere bedeutende Kunstäußerungen nach kurzer Blütezeit von anderen künstlerischen Entwicklungen abgelöst wurden (Impressionismus, Expressionismus, Kubismus usw.). Nachdem die Kunst sich damals von ihrem Dienst am Gegenstand (auch dem des Abstrahierens) gänzlich befreit hatte, wurden ihre eigenen Formalia zum Objekt der Überlegungen und künstlerischen Bemühungen. Die Weiterentwicklung dieser in Anlehnung an den Maler Theo van Doesburg etwas irritierend als “Konkrete Kunst” bezeichneten Kunstrichtung geschah mit sehr unterschiedlichen Ansätzen und Konzepten.

Bei der Arbeit mit meinen Bildern geht es mir vorrangig um Wahrnehmungsprozesse, wie sie die Psychologen der Gestalttheorie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erforscht und beschrieben haben. Wesentliche Ansatzpunkte für die “Gestaltwahrnehmung” sind für mich unter anderen:

  • die Variabilität der Längserstreckung im Rechteck. Experimentell wurde festgestellt, dass die lange Erstreckung im Rechteck eine anschauliche Tendenz zur Ausdehnung hat, während die kurze Erstreckung demgegenüber invariant bleibt. (1)
  • die Tendenz zur Trennung von Figur und Grund
  • die Tendenz zur Fortsetzung einer unterbrochenen Gestalt (Gestaltgesetz der Kontinuität)
  • die Tendenz zur rechtwinkligen Begegnung

und ganz allgemein

  • die Tendenz zur guten Gestalt (Prägnanztendenz). (2)

Die Reduktion und die minimalistische Erscheinungsweise der Bilder folgen nicht etwa einer Manier, sondern sie sind methodisch begründet. Ähnlich der Methode der “Isolierenden Variation” in den naturwissenschaftlichen Experimenten, wo bei sonst konstant gehaltenen Bedingungen durch die Manipulation einer Variablen die Veränderung bei einer anderen Variablen untersucht wird, ist es auch in der Wahrnehmung von Vorteil, die Anzahl der Variablen (z.B. Formen und Farben) klein zu halten. Dadurch ist es eher möglich, Gestaltzusammenhänge zu erkennen. Die “Reduktion von Komplexität” und ein hoher Ordnungsgrad in den Bildern gelten darüber hinaus als eigene ästhetische Werte . Das drückt sich in der viel zitierten Feststellung “Weniger ist mehr” aus, die am häufigsten dem Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe zugeschrieben wird.

Einfachheit der Form heißt aber nicht unbedingt Einfachheit der sinnlichen Erfahrung. Die einfache Form kann mit sehr subtilen und komplizierten Wahrnehmungsprozessen und assoziativen Vorgängen verbunden sein.

Darüber hinaus experimentiere ich mit der Räumlichkeitswirkung von Farben (vorne-hinten) und der unterschiedlichen Flächenwirkung von Farben (z.B. Ausdehnung), sowie den Wirkungen von Kontrasten. Unabhängig von diesen Konstruktionsprinzipien gilt für die Bilder -wie für eigentlich jedes Kunstwerk- eine Hauptregel der Gestaltpsychologie: “Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile”. Das Bild hat in diesem Sinne als GANZHEIT seinen eigenen Ausdruck, seine eigene innere Präsenz von Rationalität und Emotion.


(1) Edwin Rausch:”Variabilität und Konstanz als phänomenologische Kategorien”, in: Psychologische Forschung, Bd. 23, S. 69-114,1949 .

(2) Einen guten Überblick über dieses Sachgebiet ist zu finden in: Wolfgang Metzger: “Gesetze des Sehens”, erste Ausgabe 1953, letzte, erweiterte Ausgabe 2007